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Wer zweimal verliert, gewinnt
Parrondos Paradox: Verwirrend für Laien, einsichtig für Mathematiker,
aber leider unbrauchbar für Spieler
VON JOACHIM LAUKENMANN
Adelaide - Fühlen Sie sich manchmal als geborener Verlierer? Kopf hoch!
Ein spanischer Physiker hat bewiesen, dass doppelter Verlust zu Gewinn
verhelfen kann. Von Mathematikern wird dieses Phänomen, das jeglicher
Intuition widerspricht, als Parrondos Paradox bezeichnet - benannt nach
Juan Parrondo von der Universität Complutense in Madrid, der es 1997
entdeckte. Australische Wissenschaftler haben das Paradox nun mit
Hilfe einer Computersimulation bestätigt; zugleich zeichnen sich
Anwendungen ab: Mit Hilfe des Modells liessen sich womöglich
Investmentstrategien erstellen - oder gar erklären, wie sich Leben auf der
Erde entwickelte. Um das Wesen seines mathematischen Mechanismus zu
veranschaulichen, hat Forscher Parrondo ein Szenario aus zwei Wurfspielen
mit insgesamt drei Münzen erfunden, die auf einer Seite schwerer sind und
deshalb mit unterschiedlich grosser Wahrscheinlichkeit auf die
«Siegesseite» fallen. In Spiel A wirft ein Spieler - nennen wir ihn Peter
- die Münze eins, bei der die Siegchance ein wenig kleiner ist als 50
Prozent. Gewinnt Peter, erhält er einen Franken, verliert er, muss er
einen Franken an seine Mitspielerin Heidi abgeben. Nach einer Reihe von
Würfen landet Peter erwartungsgemäss auf der Verliererstrasse. Spiel B
ist hingegen komplizierter. Hier wirft Peter die Münzen Nummer zwei und
drei. Münze zwei hat eine Gewinnchance von rund 75 Prozent; Münze drei
führt jedoch in etwa neun von zehn Fällen zu Verlust. Peter wechselt nun
die beiden Münzen nach einer schlichten Regel ab: Immer wenn die
Gesamtzahl seiner verfügbaren Münzen - das Spielkapital also - ein
Vielfaches von drei beträgt, nimmt er die «verlustreiche» Münze drei. Da
dieser Fall vergleichsweise selten eintritt, bedeutet das: Peter wirft
häufiger die Gewinn bringende Münze zwei. Verlieren wird er auf Dauer
gesehen trotzdem, denn Münze drei mit rund 90 Prozent Verlustrisiko wiegt
die guten Chancen von Münze zwei mehr als auf. Treiben Spiel A und B
Peter also in die Pleite? Keineswegs! «Jedes Spiel für sich genommen ist
zwar ein Verlustspiel», sagt Juan Parrondo, «das Verblüffende ist aber,
dass ein Wechsel zwischen beiden Spielen zum Sieg führt.» Ein rätselhafter
Effekt, der mathematisch allerdings bewiesen ist. Um dieses Paradox zu
verstehen, nutzt man das Bild einer so genannten Rätsche. Solche Bauteile
mit schiefen «Sägezähnen» finden sich zum Beispiel im Zahnräderwerk von
Armbanduhren, die sich selbst durch Bewegung aufziehen, oder im Gestell
von Hebebühnen. Ein Schnapper, der zwischen diese Zähne greift, lässt eine
Bewegung der Rätsche in eine Richtung zu, blockiert sie aber in der
Gegenrichtung. Bei Parrondos Paradox geht es strenggenommen um eine
«pulsierende Rätsche»: ein System, mit dem sich beispielsweise Biologen
den Transport von Molekülen in einer Zelle erklären. Die Zähne dieser
speziellen Rätsche klappen periodisch ein und aus - wie bei einer Treppe,
deren Stufen wechselweise «da» sind und dann wieder nicht. Ein Tennisball
würde in beiden Fällen - schiefe Ebene oder eben Treppe - jeweils abwärts
rollen. Bei einem Wechsel zwischen beiden Zuständen würde er jedoch
gewissermassen nach oben «massiert». Auch ohne einen Nachbau dieser
Treppe darf man Parrondos Paradox Glauben schenken: Die Forscher Gregory
Harmer und Derek Abbott von der Universität Adelaide in Australien haben
das Münzwurf-Spiel kürzlich am Computer simuliert. Resultat: Bei 50 000
Durchgängen fanden sie exakt das vom spanischen Wissenschaftler
vorhergesagte Ergebnis. Mehr noch: Selbst wenn Spiel A und Spiel B nicht
in stetem Wechsel, sondern in zufälliger Reihenfolge gespielt werden,
schreiben die beiden Forscher im Wissenschaftsmagazin «Nature», «werfen
sie dennoch Gewinn ab.» Verwirrend für Laien, einsichtig für
Mathematiker. Derweil sucht Juan Parrondo nach Situationen, in denen sein
Paradox tatsächlich auftritt. Fündig wurde er bereits in der
Chaosforschung: Er verformte geometrische Muster, zum Beispiel
Bienenwaben, nach einer bestimmten Vorgabe bis zur Unkenntlichkeit - und
kombinierte dann die Regeln zur Verformung neu. Ergebnis: Aus zwei
chaotischen Mustern entstand wiederum ein regelmässiges Mosaik.
Forscher suchen nach praktischen Anwendungen für den Effekt
Dieses Phänomen könnte etwa in der Evolutionstheorie nützen,
meint Parrondo: «Komplexe Strukturen wie Lebewesen könnten durch
wechselnde Umweltbedingungen wie Tag/Nacht oder Sommer/Winter entstanden
sein.» Molekulare Rätschen könnten, so der Physiker, damit das Leben in
seiner Evolution zu grösserer Komplexität unterstützen. Andere
Wissenschaftler suchen mittlerweile nach praktischen Anwendungen des
Effektes. Zum Beispiel Sergei Maslow, Physiker am Brookhaven National
Laboratory in New York: Er analysiert Investmentstrategien. Zwei oder mehr
verlustträchtige Aktien, so fand er heraus, können durch den
«Rätschen-Effekt» zu einem Gewinnfonds kombiniert werden. Fazit: «Das
Ganze ist manchmal mehr als die Summe seiner Teile.» Um Maslows Modell
an der Börse anwenden zu können, ist es allerdings zu stark vereinfacht.
Ähnliches gilt für andere Anwendungen des Prinzips: Bei echten
Glückspielen tritt Parondos Paradox niemals auf - leider.
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Die Spieltheorie hilft, einen Entscheid zu
fällen |
Die Spieltheorie untersucht, wie Menschen oder
Organisationen sich unter bestimmten Bedingungen verhalten und
entscheiden. Ein klassisches Beispiel ist das so genannte
Gefangenendilemma: Zwei Inhaftierte werden verdächtigt, gemeinsam
eine Straftat begangen zu haben, die maximal fünf Jahre
Freiheitsstrafe nach sich zieht. Der Richter trägt nun jedem der
beiden mehrere Alternativen vor. Erstens: Wenn du deinen Partner
belastest, kommst du ohne Strafe davon, und er muss die vollen 5
Jahre absitzen. Zweitens: Schweigt ihr beide, liegen genügend
Indizienbeweise vor, um jeden von euch zu zwei Jahren Haft zu
verurteilen. Drittens: Wenn ihr beide gesteht, müsst ihr vier Jahre
hinter Gittern verbringen. Wie werden sich die Gefangenen
entscheiden? In der Spieltheorie wird nun eine so genannte
Payoff-Matrix aufgestellt: eine Tabelle, in der sämtliche
Entscheidungsmöglichkeiten der Gefangenen eingetragen und mit
Punkten bewertet sind. Je höher die Punktzahl, desto vorteilhafter
das Verhalten für den Gefangenen. Anwenden lässt sich dieses
Verfahren vor allem auf komplexe Konfliktsituationen. So wurde die
Spieltheorie bei einer Reihe von Konfrontationen im Kalten Krieg
eingesetzt, um etwa die Reaktion der Sowjetunion während der
Kubakrise von 1962 zu beurteilen. Eine spezielle Variante
solcher Analysen sind so genannte 2-Personen-Nullsummenspiele, bei
denen ein Gegner gewinnt, was der andere verliert - wie zum Beispiel
bei Parrondos Paradox. |
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